Pilotiertes Fahren: Mit Audi auf der Autobahn
Neuburg an der Donau, 19. Oktober 2016 - Es klingt wie ein Szenario aus einer weit entfernten Zukunft: Sie fahren morgens auf die Autobahn in Richtung Ihrer Arbeitsstelle. Dann drücken Sie zwei Knöpfe am Lenkrad, dieses fährt wie von Geisterhand von Ihnen weg und Ihr Auto bringt Sie nun selbstständig durch den Berufsverkehr. Zu abgedreht? Genau das habe ich erlebt. In einem Audi, der frühestens in zehn Jahren in Serie gehen dürfte.
Vollgestopfter Testträger
Wenn Sie an Versuche mit autonomen Fahrzeugen denken, würden Sie eine ganz normale öffentliche Autobahn als Testfeld empfehlen? Wahrscheinlich nicht. Aber genau das ist es, was Audi mit dem "A7 piloted driving concept" gerade macht. "Jack" - so der interne Spitzname für den Prototypen - ist vollgestopft mit Computern, Steuergeräten und Kabeln. Der Kofferraum ist quasi unbrauchbar, so voll ist das Gepäckabteil. Aber keine Angst: Bis zur Serienreife in frühestens einer Dekade soll die Hardware für den Autobahn-Piloten die Größe eines normalen Steuergeräts haben.
Direkt aus der Zukunft
Nun, dann wollen wir mal. Auf den ersten Blick ist "Jack" ein ganz normaler Audi A7: Lenkrad, Pedalerie, Schalthebel - alles da. Erst auf den zweiten Blick werden die Unterschiede deutlich. So ist beispielsweise am unteren Rand der Windschutzscheibe ein LED-Band angebracht, das den Fahrer über den Zustand des Fahrzeugs informiert. Gelb bedeutet, dass der autonome Modus nicht aktiviert ist. Grün wiederum, dass der Autopilot das Fahrzeug übernommen hat. Damit es dazu kommt, müssen am Lenkrad zwei Knöpfe gedrückt werden. Anschließend fährt das Volant ganz nah an die Mittelkonsole und der Fahrer kann sich entspannen.
Das Vertrauen kommt schnell
Das mit der Entspannung ist nur so eine Sache. "Jack" bewegt sich schließlich völlig selbstständig im fließenden Verkehr auf der A9 zwischen Nürnberg und München. Da gibt es LKWs, Mittelspurschleicher und Vollgas-Versicherungsvertreter im Zweiliter-TDI - keine leichte Aufgabe. In den ersten paar Minuten erwische ich mich noch dabei, wie ich die Spurwechselentscheidungen von "Jack" mit Schulter- und Spiegelblick überwache. Aber - und das überrascht mich selbst - ich finde sehr schnell Vertrauen in die Sache. Der pilotierte A7 verhält sich so natürlich im "Lebensraum Autobahn", dass sich binnen weniger Minuten ein gutes Gefühl einstellt. Er hält einen vernünftigen Abstand, blinkt, nähert sich den Fahrbahnmarkierungen an und schert auch sicher wieder ein.
Modernste Technik
Errechnet werden die Aktionen von "Jack" aus Daten mehrerer Laser- und Radar-Scanner, die in und am A7 montiert sind. Alles mit Netz und doppeltem Boden, schließlich muss das System auch funktionieren, wenn ein Sensor ausfällt oder im Winter mit Schneematsch bedeckt ist. Dann soll das Auto dem Fahrer genug Zeit lassen, um sich wieder auf das Selbstfahren einzustellen und das Steuer zu übernehmen. Außerdem sind die Navigations-Daten in den autonomen Modus integriert, damit "Jack" auch weiß, wo es hingehen soll.
Ausgeliefert auf der Rennstrecke
Nach der im Endeffekt wirklich begeisternden Testfahrt auf der A9 steht ein Partnertausch an: Von "Jack" geht es zu "Robby" und von der Autobahn auf die Rennstrecke. Weniger Verkehr, dafür höhere Geschwindigkeiten. Auf der Audi-Teststrecke in Neuburg ist "Robby" quasi heimisch. Er ist übrigens nicht "nur" ein A7, sondern gleich die extrem starke RS-7-Version mit 650 PS. Diesmal nehme ich lediglich auf dem Beifahrersitz Platz, links von mir ein Audi-Ingenieur. Ehrlich gesagt ist mir das auch lieber so, denn "Robby" sprintet wie wild geworden von der Startlinie los, rast auf die erste Kurve zu und ich bete, dass die Systeme auch wirklich funktionieren. Tun sie. "Robby" ist auf die Ideallinie programmiert und dient als Erprobungsfahrzeug für Dynamik, unterschiedliche Fahrzustände und Reaktionen auf Unter- sowie Übersteuern. Alles funktioniert wie am Schnürchen. Runde für Runde trifft er alle Brems-, Einlenk- und Scheitelpunkte auf den Millimeter. Die leicht rutschige Strecke kompensiert er mit gekonntem Gegenlenken. Ich fühle mich als Rennfahrer zwar ein klein wenig in meiner Existenz bedroht, bin aber gleichzeitig auch fasziniert.
Faszinierender Blick in die Zukunft
Am Ende des Tages kann ich nur sagen, dass die autonome Zukunft verdammt aufregend ist. Was mich am meisten beeindruckt hat? Wie ausgereift die Systeme schon erscheinen. Zur Erinnerung: Audi spricht von einer Serieneinführung in zehn Jahren - frühestens. Dann könnte das pilotierte Fahren tatsächlich eine richtig gute Alternative zu Kurzstreckenflügen oder der Bahnreise werden - auch ohne aufpassenden Ingenieur auf dem Beifahrersitz.